Bhairavastavaḥ
Hymne für Bhairava
व्याप्तचराचरभावविशेषं
चिन्मयमेकमनन्तमनादिम् ।
भैरवनाथमनाथशरण्यं
त्वन्मयचित्ततया हृदि वन्दे ॥१॥
Vyāptacarācarabhāvaviśeṣaṃ
cinmayamekamanantamanādim |
Bhairavanāthamanāthaśaraṇyaṃ
tvanmayacittatayā hṛdi vande || 1 ||
Ich verehre den Herrn Bhairava, der der Schutz der Hilflosen ist -- wörtlich: derer, die keinen Meister oder Beschützer haben --, und der der Einzige ohne Anfang und Ende ist, aus Bewusstsein besteht und der alle Wesen der Welt durchdringt -- d. h. bewegliche und unbewegliche Subjekte und Objekte--. Ich verehre Dich in meinem Herzen mit meinem Verstand, der nur aus Dir besteht. || 1 ||
त्वन्मयमेतदशेषमिदानीं
भाति मम त्वदनुग्रहशक्त्या ।
त्वं च महेश सदैव ममात्मा
स्वात्ममयं मम तेन समस्तम् ॥२॥
Tvanmayametadaśeṣamidānīṃ
bhāti mama tvadanugrahaśaktyā |
Tvaṃ ca maheśa sadaiva mamātmā
svātmamayaṃ mama tena samastam || 2 ||
Diese ganze Welt erscheint mir jetzt als das, was durch die Kraft Deiner Gnade aus Dir gemacht ist. Und … Oh großer Herr Maheśa! Du bist für immer mein Selbst, (denn) mein eigenes Selbst ist vollständig von Dir durchdrungen. || 2 ||
स्वात्मनि विश्वगते त्वयि नाथे
तेन न संसृतिभीतिकथास्ति ।
सत्स्वपि दुर्धरदुःखविमोह-
त्रासविधायिषु कर्मगणेषु ॥३॥
Svātmani viśvagate tvayi nāthe
tena na saṃsṛtibhītikathāsti |
Satsvapi durdharaduḥkhavimoha-
trāsavidhāyiṣu karmagaṇeṣu || 3 ||
In meinem eigenen Selbst, bist du, oh Herr, dieses Selbst das das Universum durchdringt oder darin ruht! Daher gibt es keine Frage -- wörtlich Diskussion -- in Bezug auf die Angst vor der weltlichen Existenz, was die zerstörerischen Truppen des „Karmas“ anbelangt, die Angst oder den Schrecken verursachen, der aus Illusionen entsteht und auch unbändiges Leiden verursacht. || 3 ||
अन्तक मां प्रति मा दृशमेनां
क्रोधकरालतमां विनिधेहि ।
शङ्करसेवनचिन्तनधीरो
भीषणभैरवशक्तिमयो ऽस्मि ॥४॥
Antaka māṃ prati mā dṛśamenāṃ
krodhakarālatamāṃ vinidhehi |
Śaṅkarasevanacintanadhīro
bhīṣaṇabhairavaśaktimayo 'smi || 4 ||
Oh Herr des Todes! Wirf nicht wieder diesen zornigen und überaus schrecklichen Blick auf mich, weil ich ständig daran denke, Śaṅkara zu dienen -- d.h. ich bin darin verankert, Śaṅkara zu dienen --, und ich bin eins mit den schrecklichen Śakti-s oder Kräften von Bhairava. || 4 ||
इत्थमुपोढभवन्मयसंविद्
दीधितिदारितभूरितमिस्रः ।
मृत्युयमान्तककर्मपिशाचैर्
नाथ नमो ऽस्तु न जातु बिभेमि ॥५॥
Itthamupoḍhabhavanmayasaṃvid
dīdhitidāritabhūritamisraḥ |
Mṛtyuyamāntakakarmapiśācair
nātha namo 'stu na jātu bibhemi || 5 ||
Deshalb wurde die große Dunkelheit der Unwissenheit zerrissen durch die Pracht des Bewusstseins, das mir so nah ist, da es aus Dir gemacht ist. Nie wieder werde ich die Dämonen des Karmas, Yama, den Herrn des Todes, und nicht einmal den Tod fürchten! Ehre Dir! Oh Herr! || 5 ||
प्रोदितसत्यविबोधमरीचि-
प्रेक्षितविश्वपदार्थसतत्त्वः ।
भावपरामृतनिर्भरपूर्णे
त्वय्यहमात्मनि निर्वृतिमेमि ॥६॥
Proditasatyavibodhamarīci-
prekṣitaviśvapadārthasatattvaḥ |
Bhāvaparāmṛtanirbharapūrṇe
tvayyahamātmani nirvṛtimemi || 6 ||
Die wahre Natur der Objekte der Welt wird erkannt durch die Strahlen der erwachten Wahrnehmung der oben genannten Wahrheit –- d. h. die ich erfahren habe -– in Dir, so erreiche ich vollkommene Zufriedenheit in Dir, vollkommen erfüllt vom höchsten Nektar der Manifestation, denn Du bist die Natur des Selbst. || 6 ||
मानसगोचरमेति यदैव
क्लेशदशा ऽतनुतापविधात्री ।
नाथ तदैव मम त्वदभेद-
स्तोत्रपरामृतवृष्टिरुदेति ॥७॥
Mānasagocarameti yadaiva
kleśadaśā 'tanutāpavidhātrī |
Nātha tadaiva mama tvadabheda-
stotraparāmṛtavṛṣṭirudeti || 7 ||
Wenn die Mutter – d. h. die Schöpferin -- der großen Hitze der Natur des Schmerzes die Sphäre meines Geistes erreicht, in diesem Moment, oh Herr! prasselt der Höchste Nektar der Herrlichkeit Deiner dualitätsfreien (Natur) wie ein Schauer in mir nieder. || 7 ||
शङ्कर सत्यमिदं व्रतदान-
स्नानतपो भवतापविदारि ।
तावकशास्त्रपरामृतचिन्ता
स्यन्दति चेतसि निर्वृतिधाराम् ॥८॥
Śaṅkara satyamidaṃ vratadāna-
snānatapo bhavatāpavidāri |
Tāvakaśāstraparāmṛtacintā
syandati cetasi nirvṛtidhārām || 8 ||
Oh Sankara! Es ist wahr, dass Dienst, Geben, Baden und Askese die Qual der begrenzten Existenz zerstören, aber nur der Gedanke an den Höchsten Nektar Deines Befehls oder Deiner Lehre –- i. a. W. Offenbarung -- löst den Wasserfall der Wonne in meinem Herzen aus – d. h. in meinem Intellekt --. || 8 ||
नृत्यति गायति हृष्यति गाढं
संविदियं मम भैरवनाथ ।
त्वां प्रियमाप्य सुदर्शनमेकं
दुर्लभमन्यजनैः समयज्ञम् ॥९॥
Nṛtyati gāyati hṛṣyati gāḍhaṃ
saṃvidiyaṃ mama bhairavanātha |
Tvāṃ priyamāpya sudarśanamekaṃ
durlabhamanyajanaiḥ samayajñam || 9 ||
Oh Herr Bhairava! Mein Bewusstsein tanzt, singt und jubelt unerschütterlich, nachdem es Dich, den Einen Geliebten, erreicht hat, und das Opfer der Einheit, das für andere so schwer zu erreichen ist, wird so einfach -– im wahrsten Sinne des Wortes wird das Opfer schön -–. || 9 ||
वसुरसपौषे कृष्णदशम्याम्
अभिनवगुप्तः स्तवमिममकरोत् ।
येन विभुर्भवमरुसन्तापं
शमयति झटिति जनस्य दयालुः॥
Vasurasapauṣe kṛṣṇadaśamyām
abhinavaguptaḥ stavamimamakarot |
Yena vibhurbhavamarusantāpaṃ
śamayati jhaṭiti janasya dayāluḥ ||
Dies ist ein Lobgesang, der von Abhinavagupta im Jahr 68 am zehnten Tag des Monats Pausa während des abnehmenden Mondes geschrieben wurde, mit dem der barmherzige Herr das sengende Feuer der Wüste der weltlichen Existenz in (demjenigen, der sie liest) sofort abkühlt. ||
॥समाप्तं स्तवमिदमभिनवाख्यं पद्यनवकम्॥
|| Samāptaṃ stavamidamabhinavākhyaṃ padyanavakam ||
Fertig ist diese Lobeshymne mit den neun stets frischen Versen.
Sanskrit-Quelle:
Göttingen Register of Electronic Texts in Indian Languages
Transliteration: Dott. Marino Faliero, 1998 Juli