Spandakārikāḥ
Prägnante Aussagen in Versen über Spanda oder göttliche Pulsation
Erstes Kapitel: Svarūpaspandaḥ
Spanda als die eigene essentielle Natur
यस्योन्मेषनिमेषाभ्यां जगतः प्रलयोदयौ ।
तं शक्तिचक्रविभवप्रभवं शङ्करं स्तुमः ॥१/१॥
Yasyonmeṣanimeṣābhyāṃ jagataḥ pralayodayau |
Taṃ śakticakravibhavaprabhavaṃ śaṅkaraṃ stumaḥ || 1/1 ||
Wir preisen den Śaṅkara, durch Dessen Öffnen und Schließen der Augen die Auflösung und das Erscheinen der Welt (stattfindet, und Der) die Quelle der Fülle des Rades der Śakti ist. || 1/1 ||
यत्र स्थितमिदं सर्वं कार्यं यस्माच्च निर्गतम्
तस्यानावृतरूपत्वान्न निरोधोऽस्ति कुत्रचित् ॥१/२॥
Yatra sthitamidaṃ sarvaṃ kāryaṃ yasmācca nirgatam
Tasyānāvṛtarūpatvānna nirodho'sti kutracit || 1/2 ||
Aufgrund Seiner unbegrenzten Natur existiert (Seine) Verdeckung nirgendwo dort, wo all diese erschaffenen Objekte --d.h. in der Welt-- ruhen und aus der (sie) hervorgehen. || 1/2 ||
जाग्रदादिविभेदेऽपि तदभिन्ने प्रसर्पति ।
निवर्तते निजान्नैव स्वभावादुपलब्धृतः ॥१/३॥
Jāgradādivibhede'pi tadabhinne prasarpati |
Nivartate nijānnaiva svabhāvādupalabdhṛtaḥ || 1/3 ||
(Er) existiert sogar in den differenzierten Zuständen des Wachseins usw. (die) sich nicht von Ihm unterscheiden, (da Er) seine eigene essentielle Natur, der Wahrnehmende (zu sein), niemals aufgibt. || 1/3 ||
अहं सुखी च दुःखी च रक्तश्चेत्यादिसंविदः ।
सुखाद्यवस्थानुस्यूते वर्तन्तेऽन्यत्र ताः स्फुटम् ॥१/४॥
Ahaṃ sukhī ca duḥkhī ca raktaścetyādisaṃvidaḥ |
Sukhādyavasthānusyūte vartante'nyatra tāḥ sphuṭam || 1/4 ||
Wahrnehmungen wie „Ich bin glücklich“, „(Ich bin) traurig“, „(Ich bin) gebunden“ usw. beruhen klar auf einer anderen Realität, (wo) die Zustände des Glücks usw. ununterbrochen verbunden sind. || 1/4 ||
न दुःखं न सुखं यत्र न ग्राह्यं ग्राहकं न च ।
न चास्ति मूढभावोऽपि तदस्ति परमार्थतः ॥१/५॥
Na duḥkhaṃ na sukhaṃ yatra na grāhyaṃ grāhakaṃ na ca |
Na cāsti mūḍhabhāvo'pi tadasti paramārthataḥ || 1/5 ||
Wo (es) kein Leid, kein Glück, kein Objekt und kein (begrenztes) Subjekt (gibt) und nicht einmal der Zustand der Verwirrung (aufgrund der Nichtexistenz all dieser) existiert, (dort) existiert Das --d. h. das Selbst oder Spanda-- im wirklichen Sinne. || 1/5 ||
यतः करणवर्गोऽयं विमूढोऽमूढवत्स्वयम् ।
सहान्तरेण चक्रेण प्रवृत्तिस्थितिसंहृतीः ॥१/६॥
लभते तत्प्रयत्नेन परीक्ष्यं तत्त्वमादरात् ।
यतः स्वतन्त्रता तस्य सर्वत्रेयमकृत्रिमा ॥१/७॥
Yataḥ karaṇavargo'yaṃ vimūḍho'mūḍhavatsvayam |
Sahāntareṇa cakreṇa pravṛttisthitisaṃhṛtīḥ || 1/6 ||
Labhate tatprayatnena parīkṣyaṃ tattvamādarāt |
Yataḥ svatantratā tasya sarvatreyamakṛtrimā || 1/7 ||
Da diese leblose Gruppe der Sinne (scheinbar) aus sich selbst heraus lebendig zu sein scheint, erreicht (sie folglich) --d. h. nimmt sie-- zusammen mit dem inneren Rad (von Śakti) Manifestation, Erhaltung und Auflösung –wahr--; (deshalb) ist diese Wirklichkeit (des Spanda oder des Selbst) es wert, durch kontinuierliche Bemühung eifrig erforscht zu werden, da Ihre natürliche Freiheit oder Unabhängigkeit überall (existiert). || 1/6-7 ||
न हीच्छानोदनस्यायं प्रेरकत्वेन वर्तते ।
अपि त्वात्मबलस्पर्शात्पुरुषस्तत्समो भवेत् ॥१/८॥
Na hīcchānodanasyāyaṃ prerakatvena vartate |
Api tvātmabalasparśātpuruṣastatsamo bhavet || 1/8 ||
Dieses begrenzte Wesen kann Wünsche nicht beseitigen, indem es (sie in irgendeine Richtung) in Bewegung setzt, jedoch von der Kraft des Selbst berührt, wird es identisch mit Diesem --d. h. mit Spanda oder dem Selbst. Es selbst wird zu Spanda--. || 1/8 ||
निजाशुद्ध्यासमर्थस्य कर्तव्येष्वभिलाषिणः ।
यदा क्षोभः प्रलीयेत तदा स्यात्परमं पदम् ॥१/९॥
Nijāśuddhyāsamarthasya kartavyeṣvabhilāṣiṇaḥ |
Yadā kṣobhaḥ pralīyeta tadā syātparamaṃ padam || 1/9 ||
Wenn die Verwirrung (eines solchen begrenzten Wesens, das) (wegen) seiner eigenen Unreinheit nicht handeln kann (, und dessen 'Verwirrung' darin besteht), 'nach 'zu vollbringenden Handlungen' zu verlangen', verschwindet, dann (erscheint) tatsächlich der Höchste Zustand. || 1/9 ||
तदास्याकृत्रिमो धर्मो ज्ञत्वकर्तृत्वलक्षणः ।
यतस्तदेप्सितं सर्वं जानाति च करोति च ॥१/१०॥
Tadāsyākṛtrimo dharmo jñatvakartṛtvalakṣaṇaḥ |
Yatastadepsitaṃ sarvaṃ jānāti ca karoti ca || 1/10 ||
Dann (erstrahlt) sein ungekünstelter --d. h. Natürlicher-- Zustand, der durch Wissen und Handeln gekennzeichnet ist, da (er) alles weiß und tut, (was) er sich ersehnt. || 1/10 ||
तमधिष्ठातृभावेन स्वभावमवलोकयन् ।
स्मयमान इवास्ते यस्तस्येयं कुसृतिः कुतः ॥१/११॥
Tamadhiṣṭhātṛbhāvena svabhāvamavalokayan |
Smayamāna ivāste yastasyeyaṃ kusṛtiḥ kutaḥ || 1/11 ||
Wie (kann) diese niederträchtige Natur --d. h. Unwissenheit-- (noch) in dem existieren, der wahrhaftig erstaunt die essentielle Natur (von Spanda oder dem Selbst) als (den) Herrscher (über alles) erblickt? || 1/11 ||
नाभावो भाव्यतामेति न च तत्रास्त्यमूढता ।
यतोऽभियोगसंस्पर्शात्तदासीदिति निश्चयः ॥१/१२॥
Nābhāvo bhāvyatāmeti na ca tatrāstyamūḍhatā |
Yato'bhiyogasaṃsparśāttadāsīditi niścayaḥ || 1/12 ||
„Nichtexistenz“ existiert nicht; daher existiert dort --d. h. in der Nichtexistenz-- (nur) Verwirrung, da durch Erfassen des Beweises (, der sich) aus nachträglicher Untersuchung ergibt, (die Vorstellung:) „Es war, das --d. h. Verwirrung--“ zu einer Tatsache wird. || 1/12 ||
अतस्तत्कृत्रिमं ज्ञेयं सौषुप्तपदवत्सदा ।
न त्वेवं स्मर्यमाणत्वं तत्तत्त्वं प्रतिपद्यते ॥१/१३॥
Atastatkṛtrimaṃ jñeyaṃ sauṣuptapadavatsadā |
Na tvevaṃ smaryamāṇatvaṃ tattattvaṃ pratipadyate || 1/13 ||
Daher ist dieses geschaffene Objekt der Erkenntnis --d. h. die zuvor erwähnte Nichtexistenz-- immer wie der Zustand des Tiefschlafs, und die Realität (des Spanda oder des Selbst) wird wahrlich nicht als „Objekt der Erinnerung“ realisiert. || 1/13 ||
अवस्थायुगलं चात्र कार्यकर्तृत्वशब्दितम् ।
कार्यता क्षयिणी तत्र कर्तृत्वं पुनरक्षयम् ॥१/१४॥
Avasthāyugalaṃ cātra kāryakartṛtvaśabditam |
Kāryatā kṣayiṇī tatra kartṛtvaṃ punarakṣayam || 1/14 ||
Und darin --d.h. in Spanda oder dem Selbst-- (existierten) zwei Zustände, (die als) die Tat und der Zustand des Handelnden bezeichnet werden. Dabei ist der Zustand der Tat vergänglich, der Zustand des Handelnden jedoch ist unvergänglich. || 1/14 ||
कार्योन्मुखः प्रयत्नो यः केवलं सोऽत्र लुप्यते ।
तस्मिमँल्लुप्ते विलुप्तोऽस्मीत्यबुधः प्रतिपद्यते ॥१/१५॥
Kāryonmukhaḥ prayatno yaḥ kevalaṃ so'tra lupyate |
Tasmim̐llupte vilupto'smītyabudhaḥ pratipadyate || 1/15 ||
Lediglich die Anstrengung, die nach Objekten strebt, wird dort zerstört - d.h. im Zustand der falschen Erfahrung der Nicht-Existenz oder der eigenen Zerstörung -. In dieser Zerstörung wird (nur die eigene) Dummheit --d.h. Unwissenheit-- erfahren (von demjenigen, der) denkt „Ich selbst bin zerstört”. || 1/15 ||
न तु योऽन्तर्मुखो भावः सर्वज्ञत्वगुणास्पदम् ।
तस्य लोपः कदाचित्स्यादन्यस्यानुपलम्भनात् ॥१/१६॥
Na tu yo'ntarmukho bhāvaḥ sarvajñatvaguṇāspadam |
Tasya lopaḥ kadācitsyādanyasyānupalambhanāt || 1/16 ||
Und es gibt keine Existenz der Inneren Natur, die der Wohnsitz der Natur der Allwissenheit ist, deren Zerstörung tatsächlich (stattfindet) wegen der Nicht-Wahrnehmung des anderen. || 1/16 ||
तस्योपलब्धिः सततं त्रिपदाव्यभिचारिणी ।
नित्यं स्यात्सुप्रबुद्धस्य तदाद्यन्ते परस्य तु ॥१/१७॥
Tasyopalabdhiḥ satataṃ tripadāvyabhicāriṇī |
Nityaṃ syātsuprabuddhasya tadādyante parasya tu || 1/17 ||
Die Verwirklichung --des Spanda oder des Selbst-- ist tatsächlich in allen drei Zuständen (des Wachseins, Träumens und Tiefschlafs) dauerhaft, immer (und) beständig für den vollkommen Erwachten, aber für andere --d. h. für diejenigen, die nicht vollkommen erwacht sind-- (findet eine solche Verwirklichung nur) zu Beginn und am Ende (dieser Zustände statt). || 1/17 ||
ज्ञानज्ञेयस्वरूपिण्या शक्त्या परमया युतः ।
पदद्वये विभूर्भाति तदन्यत्र तु चिन्मयः ॥१/१८॥
Jñānajñeyasvarūpiṇyā śaktyā paramayā yutaḥ |
Padadvaye vibhūrbhāti tadanyatra tu cinmayaḥ || 1/18 ||
Der Ewige Herr erscheint im zweifältigen Zustand (des Wachseins und des Träumens), begleitet von (Seiner) Höchsten Śakti, (Die) (dort) als Wissen (im Träumen --d. h. Wahrnehmung-- und) das Erkennbare (im Wachsein --d. h. Objekt der Wahrnehmung--) verkörpert ist, aber im anderen als diesen (zwei) --d.h. im Tiefschlaf-- (erscheint Er ausschließlich) als Bewusstheit. || 1/18 ||
गुणादिस्पन्दनिष्यन्दाः सामान्यस्पन्दसंश्रयात् ।
लब्धात्मलाभाः सततं स्युर्ज्ञस्यापरिपन्थिनः ॥१/१९॥
Guṇādispandaniṣyandāḥ sāmānyaspandasaṃśrayāt |
Labdhātmalābhāḥ satataṃ syurjñasyāparipanthinaḥ || 1/19 ||
Die Ströme von Spanda, (die) mit den guṇa-s oder (irgendwelchen) Eigenschaften beginnen, (und) im Selbst absorbiert werden, indem sie (für ihre eigene Existenz) auf das Universelle Spanda zurückgreifen, existieren für einen Intelligenten immer als Freunde --d. h. nicht als Hindernisse oder Feinde. || 1/19 ||
अप्रबुद्धधियस्त्वेते स्वस्थितिस्थगनोद्यताः ।
पातयन्ति दुरुत्तारे घोरे संसारवर्त्मनि ॥१/२०॥
Aprabuddhadhiyastvete svasthitisthaganodyatāḥ |
Pātayanti duruttāre ghore saṃsāravartmani || 1/20 ||
Doch diese (Eigenschaften) arbeiten eifrig und unablässig daran, ihren eigenen Sitz zu verbergen und bringen (diejenigen, deren) Intellekt nicht erwacht ist, dazu, in den schrecklichen Strom des Saṃsāra, (der) schwer zu überwinden ist, zu fallen. || 1/20 ||
अतः सततमुद्युक्तः स्पन्दतत्त्वविविक्तये ।
जाग्रदेव निजं भावमचिरेणाधिगच्छति ॥१/२१॥
Ataḥ satatamudyuktaḥ spandatattvaviviktaye |
Jāgradeva nijaṃ bhāvamacireṇādhigacchati || 1/21 ||
Daher erlangt (jemand, der) immer damit beschäftigt ist, das Spandaprinzip zu erkennen, (seine) ureigene Natur bald, sogar im Wachzustand. || 1/21 ||
अतिक्रुद्धः प्रहृष्टो वा किं करोमीति वा मृशन् ।
धावन्वा यत्पदं गच्छेत्तत्र स्पन्दः प्रतिष्ठितः ॥१/२२॥
Atikruddhaḥ prahṛṣṭo vā kiṃ karomīti vā mṛśan |
Dhāvanvā yatpadaṃ gacchettatra spandaḥ pratiṣṭhitaḥ || 1/22 ||
(Das) Spanda (-Prinzip) ist fest in dem Zustand verankert, den (jemand) erreicht, (wenn er) maßlos wütend, äußerst erfreut (ist), überlegt „was (ist jetzt zu) tun?“ oder (um sein Leben) rennt. || 1/22 ||
यामवस्थां समालम्ब्य यदयं मम वक्ष्यति ।
तदवश्यं करिष्येऽहमिति सङ्कल्प्य तिष्ठति ॥१/२३॥
Yāmavasthāṃ samālambya yadayaṃ mama vakṣyati |
Tadavaśyaṃ kariṣye'hamiti saṅkalpya tiṣṭhati || 1/23 ||
Im Vertrauen auf (Das), den Zustand (von Spanda oder dem Selbst), bleibt (ein solch vollkommen Erwachter) standhaft, indem er denkt: „Was mir dieses (Selbst) sagen wird, werde mit allen Mitteln tun”. || 1/23 ||
तामाश्रित्योर्ध्वमार्गेण चन्द्रसूर्यावुभावपि ।
सौषुम्नेऽध्वन्यस्तमितो हित्वा ब्रह्माण्डगोचरम् ॥१/२४॥
तदा तस्मिन्महाव्योम्नि प्रलीनशशिभास्करे ।
सौषुप्तपदवन्मूढः प्रबुद्धः स्यादनावृतः ॥१/२५॥
Tāmāśrityordhvamārgeṇa candrasūryāvubhāvapi |
Sauṣumne'dhvanyastamito hitvā brahmāṇḍagocaram || 1/24 ||
Tadā tasminmahāvyomni pralīnaśaśibhāskare |
Sauṣuptapadavanmūḍhaḥ prabuddhaḥ syādanāvṛtaḥ || 1/25 ||
In Dem --Spanda oder Selbst-- Zuflucht nehmend (betreten) der Mond und die Sonne ---prāṇa und apāna— den Strom der Suṣumnā, die Ihre Heimat ist. Von hier aus, dem Aufwärtspfad (der Suṣumnā) folgend, lösen sich der Mond und die Sonne, nachdem sie die Sphäre des „Brahmā -Eies“ verlassen haben, vollkommen in die Große Leere, oder den Himmel (der Höchsten Bewusstheit) auf. (Hier ist die Erfahrung eines) nicht Erwachten wie der Zustand des Tiefschlafs, während der Erwachte tatsächlich grenzenlos (ist). || 1/24-25 ||
Zweites Kapitel: Sahajavidyodayaḥ
Die Offenbarung der ureigenen Weisheit
तदाक्रम्य बलं मन्त्राः सर्वज्ञबलशालिनः ।
प्रवर्तन्तेऽधिकाराय करणानीव देहिनाम् ॥२/१॥
Tadākramya balaṃ mantrāḥ sarvajñabalaśālinaḥ |
Pravartante'dhikārāya karaṇānīva dehinām || 2/1 ||
Die Mantras, die die Kraft der Allwissenheit besitzen, sind, nachdem sie diese Kraft --das Spanda oder das Selbst—in sich tragen, mit (ihrer) Aufgabe beschäftigt, wie die Sinne der verkörperten Wesen. || 2/1 ||
तत्रैव संप्रलीयन्ते शान्तरूपा निरञ्जनाः ।
सहाराधकचित्तेन तेनैते शिवधर्मिणः ॥२/२॥
Tatraiva saṃpralīyante śāntarūpā nirañjanāḥ |
Sahārādhakacittena tenaite śivadharmiṇaḥ || 2/2 ||
Diese (Mantras) sind ruhig und leidenschaftslos und werden dort zusammen mit dem Geist ihres Verehrers aufgelöst, sie haben (daher) die Eigenschaft von Śiva. || 2/2 ||
यस्मात्सर्वमयो जीवः सर्वभावसमुद्भवात् ।
तत्संवेदनरूपेण तादात्म्यप्रतिपत्तितः ॥२/३॥
Yasmātsarvamayo jīvaḥ sarvabhāvasamudbhavāt |
Tatsaṃvedanarūpeṇa tādātmyapratipattitaḥ || 2/3 ||
Daher unterscheidet sich der Jīva oder das individuelle Wesen von nichts –d. h. er ist eins mit der Welt--, denn (er wird zur) Quelle von allem in Form des Wissens und Erfahrung der Einheit. || 2/3 ||
तेन शब्दार्थचिन्तासु न सावस्था न या शिवः ।
भोक्तैव भोग्यभावेन सदा सर्वत्र संस्थितः ॥२/४॥
Tena śabdārthacintāsu na sāvasthā na yā śivaḥ |
Bhoktaiva bhogyabhāvena sadā sarvatra saṃsthitaḥ || 2/4 ||
Dadurch (gibt es) keinen Zustand, der in Worten, Objekten (oder sogar) Gedanken nicht Śiva wäre, (und) nur der Wahrnehmende (ist derjenige, der) immer (und) überall als (Erscheinung) des wahrgenommenen (Objekts) verbleibt. || 2/4 ||
इति वा यस्य संवित्तिः क्रीडात्वेनाखिलं जगत् ।
स पश्यन्सततं युक्तो जीवन्मुक्तो न संशयः ॥२/५॥
Iti vā yasya saṃvittiḥ krīḍātvenākhilaṃ jagat |
Sa paśyansatataṃ yukto jīvanmukto na saṃśayaḥ || 2/5 ||
Mit anderen Worten: Derjenige, dessen Bewusstsein das gesamte Universum stets als göttliches Spiel betrachtet, ist (mit Spanda oder dem Selbst) vereint und (ist) zu Lebzeiten befreit, daran besteht kein Zweifel. || 2/5 ||
अयमेवोदयस्तस्य ध्येयस्य ध्यायिचेतसि ।
तदात्मतासमापत्तिरिच्छतः साधकस्य या ॥२/६॥
इयमेवामृतप्राप्तिरयमेवात्मनो ग्रहः ।
इयं निर्वाणदीक्षा च शिवसद्भावदायिनी ॥२/७॥
Ayamevodayastasya dhyeyasya dhyāyicetasi |
Tadātmatāsamāpattiricchataḥ sādhakasya yā || 2/6 ||
Iyamevāmṛtaprāptirayamevātmano grahaḥ |
Iyaṃ nirvāṇadīkṣā ca śivasadbhāvadāyinī || 2/7 ||
Dies allein ist die Offenbarung des Meditationsobjekts im Geist des Meditierenden. Es ist nichts anderes als das Einswerden mit dem Objekt der Meditation aufgrund des Willens des Anbeters, dessen Essenz nur das Erreichen des Nektars des Selbst ist. Dies allein ist die Verwirklichung des Selbst. Dies ist die Einweihung in die absolute Vereinigung mit dem Höchsten, die die wahre Natur Śivas schenkt. || 2/6-7 ||
Drittes Kapitel: Vibhūtispandaḥ
Spanda als Manifestation übernatürlicher Kräfte
यथेच्छाभ्यर्थितो धाता जाग्रतोऽर्थान्हृदि स्थितान् ।
सोमसूर्योदयं कृत्वा सम्पादयति देहिनः ॥३/१॥
तथा स्वप्नेऽप्यभीष्टार्थान्प्रणयस्यानतिक्रमात् ।
नित्यं स्फुटतरं मध्ये स्थितोऽवश्यं प्रकाशयेत् ॥३/२॥
Yathecchābhyarthito dhātā jāgrato'rthānhṛdi sthitān |
Somasūryodayaṃ kṛtvā sampādayati dehinaḥ || 3/1 ||
Tathā svapne'pyabhīṣṭārthānpraṇayasyānatikramāt |
Nityaṃ sphuṭataraṃ madhye sthito'vaśyaṃ prakāśayet || 3/2 ||
So wie der Schöpfer (der Welt) alle Objekte manifestiert, (die) im Herzen eines verkörperten Wesens ruhen, (das) ein Verlangen hat (und den Herrn um diese) Objekte bittet, (sofern dieser) achtsam (bleibt), nachdem (er) Mond und Sonne aufgehen ließ; so offenbart der (Schöpfer, der) in der Mitte ruht, (demjenigen, der) das Flehen (nach diesen Objekten) nicht aufhört, die begehrten Objekte auf jeden Fall, immer und noch lebendiger sogar im Traum. || 3/1-2 ||
अन्यथा तु स्वतन्त्रा स्यात्सृष्टिस्तद्धर्मकत्वतः ।
सततं लौकिकस्येव जाग्रत्स्वप्नपदद्वये ॥३/३॥
Anyathā tu svatantrā syātsṛṣṭistaddharmakatvataḥ |
Satataṃ laukikasyeva jāgratsvapnapadadvaye || 3/3 ||
Ansonsten ist die Manifestation ihrer Natur entsprechend immer frei (in jeglicher Form zu erscheinen), wie (im Fall von) weltliche(n) Wesen in den beiden Zuständen des Wachseins und des Träumens. || 3/3 ||
यथा ह्यर्थोऽस्फुटो दृष्टः सावधानेऽपि चेतसि ।
भूयः स्फुटतरो भाति स्वबलोद्योगभावितः ॥३/४॥
तथा यत्परमार्थेन येन यत्र यथा स्थितम् ।
तत्तथा बलमाक्रम्य न चिरात्सम्प्रवर्तते ॥३/५॥
Yathā hyartho'sphuṭo dṛṣṭaḥ sāvadhāne'pi cetasi |
Bhūyaḥ sphuṭataro bhāti svabalodyogabhāvitaḥ || 3/4 ||
Tathā yatparamārthena yena yatra yathā sthitam |
Tattathā balamākramya na cirātsampravartate || 3/5 ||
Wie ein Objekt (das) selbst bei aufmerksamem Geist (zunächst) nur verschwommen zu sehen ist, (aber) später immer deutlicher leuchtet (für jemanden, der) sich kontinuierlich aus eigener Kraft bemüht, so erscheint (das), was wahrhaftig jederzeit, überall und in jeglicher Form existiert, sofort, nachdem man diese Kraft (des Spanda) ergriffen hat. || 3/4-5 ||
दुर्बलोऽपि तदाक्रम्य यतः कार्ये प्रवर्तते ।
आच्छादयेद्बुभुक्षां च तथा योऽतिबुभुक्षितः ॥३/६॥
Durbalo'pi tadākramya yataḥ kārye pravartate |
Ācchādayedbubhukṣāṃ ca tathā yo'tibubhukṣitaḥ || 3/6 ||
Denn nachdem er Die (Kraft des Spanda) erfasst hat, kann sogar eine schwache Person, (die) zu einer bestimmten Tätigkeit entschlossen (ist, erfolgreich handeln,) so wie jemand, der wirklich hungert, (fähig ist), seinen Hunger zu verbergen (wenn es notwendig ist, um Leiden zu vermeiden). || 3/6 ||
अनेनाधिष्ठिते देहे यथा सर्वज्ञतादयः ।
तथा स्वात्मन्यधिष्ठानात्सर्वत्रैवं भविष्यति ॥३/७॥
Anenādhiṣṭhite dehe yathā sarvajñatādayaḥ |
Tathā svātmanyadhiṣṭhānātsarvatraivaṃ bhaviṣyati || 3/7 ||
So wie Allwissenheit usw. im Körper, dem Jene (die Kraft des Spanda) innewohnt, (vorhanden) ist, wird (diese) aufgrund des festen Ruhens im eigenen Selbst auch überall sonst vorhanden sein. || 3/7 ||
ग्लानिर्विलुण्ठिका देहे तस्याश्चाज्ञानतः सृतिः ।
तदुन्मेषविलुप्तं चेत्कुतः सा स्यादहेतुका ॥३/८॥
Glānirviluṇṭhikā dehe tasyāścājñānataḥ sṛtiḥ |
Tadunmeṣaviluptaṃ cetkutaḥ sā syādahetukā || 3/8 ||
Ermüdung des Körpers (ist) ein Dieb (des Bewusstsheit) und (sie) entspringt der Unwissenheit, doch wenn diese (Unwissenheit) (aufgrund von) Unmeṣa oder dem Erwachen von Jener (Kraft des Spanda) zerstört wird, wie könnte sie dann ohne Grundlage existieren? || 3/8 ||
एकचिन्ताप्रसक्तस्य यतः स्यादपरोदयः ।
उन्मेषः स तु विज्ञेयः स्वयं तमुपलक्षयेत् ॥३/९॥
Ekacintāprasaktasya yataḥ syādaparodayaḥ |
Unmeṣaḥ sa tu vijñeyaḥ svayaṃ tamupalakṣayet || 3/9 ||
Denn für jemanden, der nur mit einem Gedanken --d.h. mit seinem Selbst-- beschäftigt ist, (erhebt sich) eine andere --d.h. nicht individuelle (Bewusstheit). Das wird wahrlich 'Unmeṣa' genannt -- wörtlich Erblühen der Bewusstheit--, (und) jeder muss dies für sich selbst erkennen. || 3/9 ||
अतो विन्दुरतो नादो रूपमस्मादतो रसः ।
प्रवर्तन्तेऽचिरेणैव क्षोभकत्वेन देहिनः ॥३/१०॥
Ato vindurato nādo rūpamasmādato rasaḥ |
Pravartante'cireṇaiva kṣobhakatvena dehinaḥ || 3/10 ||
Aus dieser (Erkenntnis) steigen für den Verkörperten bald vindu oder (begrenztes) göttliches Licht, nāda oder (begrenzter) göttlicher Klang, rūpa oder göttliche Form (und) rasa oder (begrenzter) göttlicher Geschmack in Form von Verwirrung empor. || 3/10 ||
दिदृक्षयेव सर्वार्थान्यदा व्याप्यावतिष्ठते ।
तदा किं बहुनोक्तेन स्वयमेवावभोत्स्यते ॥३/११॥
Didṛkṣayeva sarvārthānyadā vyāpyāvatiṣṭhate |
Tadā kiṃ bahunoktena svayamevāvabhotsyate || 3/11 ||
Wenn (jemand) etabliert ist (und) den Wunsch hat, alles (von Spanda) durchdrungen zu sehen, was soll man dann (zu all dem noch) sagen(? Er) wird (Das) von selbst erfahren. || 3/11 ||
प्रबुद्धः सर्वदा तिष्ठेज्ज्ञानेनालोक्य गोचरम् ।
एकत्रारोपयेत्सर्वं ततोऽन्येन न पीड्यते ॥३/१२॥
Prabuddhaḥ sarvadā tiṣṭhejjñānenālokya gocaram |
Ekatrāropayetsarvaṃ tato'nyena na pīḍyate || 3/12 ||
Indem er (alles, was) zu seinem Wahrnehmungsbereich gehört, durch (sein) Wissen der Sinneswahrnehmung sieht, (muss er) immer wach bleiben (und) alles an einen Ort --d.h. in sein eigenes Selbst-- bringen; so wird er von nichts anderem bedrängt. || 3/12 ||
शब्दराशिसमुत्थस्य शक्तिवर्गस्य भोग्यताम् ।
कलाविलुप्तविभवो गतः सन्स पशुः स्मृतः ॥३/१३॥
Śabdarāśisamutthasya śaktivargasya bhogyatām |
Kalāviluptavibhavo gataḥ sansa paśuḥ smṛtaḥ || 3/13 ||
(Jemand, dessen) Glanz durch ‚kalā‘ oder ‚Teilung‘ ruiniert wird, wird zum Objekt des Genusses der Gruppe von Kräften, die als Buchstabengirlande erscheinen. Er existiert (daher) sozusagen als Paśu oder begrenztes Wesen. || 3/13 ||
परामृतरसापायस्तस्य यः प्रत्ययोद्भवः ।
तेनास्वतन्त्रतामेति स च तन्मात्रगोचरः ॥३/१४॥
Parāmṛtarasāpāyastasya yaḥ pratyayodbhavaḥ |
Tenāsvatantratāmeti sa ca tanmātragocaraḥ || 3/14 ||
Und in seinem Fall erreicht er durch das Auftauchen von Ideen (verstärkt mit festen Überzeugungen), die in der Sphäre der tanmātra-s oder subtilen Elemente (auftauchen) (und das Zeichen) für den Verlust des Geschmacks des Höchsten Nektars sind, den Zustand der Abhängigkeit --d. h. er wird von diesen Ideen abhängig--. || 3/14 ||
स्वरूपावरणे चास्य शक्तयः सततोत्थिताः ।
यतः शब्दानुवेधेन न विना प्रत्ययोद्भवः ॥३/१५॥
Svarūpāvaraṇe cāsya śaktayaḥ satatotthitāḥ |
Yataḥ śabdānuvedhena na vinā pratyayodbhavaḥ || 3/15 ||
Und die (vorgenannten) Kräfte sind stets damit beschäftigt, seine Wesentliche Natur zu verbergen, da keine Idee ohne die Vermischung von Worten (im Geist) entsteht. || 3/15 ||
सेयं क्रियात्मिका शक्तिः शिवस्य पशुवर्तिनी ।
बन्धयित्री स्वमार्गस्था ज्ञाता सिद्ध्युपपादिका ॥३/१६॥
Seyaṃ kriyātmikā śaktiḥ śivasya paśuvartinī |
Bandhayitrī svamārgasthā jñātā siddhyupapādikā || 3/16 ||
Dies ist Śivas Kraft, (die) im begrenzten Wesen ruht (, und) sie ist durch Aktivität gekennzeichnet, (wenn Sie) es - d.h. das begrenzte Wesen - bindet, (wenn Sie jedoch) als der Pfad zum eigenen Selbst verstanden wird, (bringt Sie) Erfolg hervor. || 3/16 ||
तन्मात्रोदयरूपेण मनोऽहम्बुद्धिवर्तिना ।
पुर्यष्टकेन संरुद्धस्तदुत्थं प्रत्ययोद्भवम् ॥३/१७॥
Tanmātrodayarūpeṇa mano'hambuddhivartinā |
Puryaṣṭakena saṃruddhastadutthaṃ pratyayodbhavam || 3/17 ||
(Das begrenzte Wesen) wird durch (seinen) puryaṣṭaka oder feinstofflichen Körper, (der) sich im Intellekt, im falschen Ich und im Geist, in Form des Aufsteigens von tanmātra-s oder feinstofflichen Elementen (des Denkens) befindet, ruiniert, (weil) in diesem --d.h. im puryaṣṭaka-- das Aufsteigen von Ideen stattfindet. || 3/17 ||
भुङ्क्ते परवशो भोगं तद्भावात्संसरेदतः ।
संसृतिप्रलयस्यास्य कारणं सम्प्रचक्ष्महे ॥३/१८॥
Bhuṅkte paravaśo bhogaṃ tadbhāvātsaṃsaredataḥ |
Saṃsṛtipralayasyāsya kāraṇaṃ sampracakṣmahe || 3/18 ||
Jemand, der (einem solchen Spiel des puryaṣṭaka) unterworfen ist, genießt dessen Früchte --d.h. Ideen-- (und) wandert (in seinem Geist) aufgrund der Existenz dessen ---d.h. des puryaṣṭaka-- umher. Deshalb erklären wir den Grund für die Auflösung dieses Umherwanderns --i.e. saṃsāra--. || 3/18 ||
यदा त्वेकत्र संरूढस्तदा तस्य लयोदयौ ।
नियच्छन्भोक्तृतामेति ततश्चक्रेश्वरो भवेत् ॥३/१९॥
Yadā tvekatra saṃrūḍhastadā tasya layodayau |
Niyacchanbhoktṛtāmeti tataścakreśvaro bhavet || 3/19 ||
Doch wenn (er) an „einem Ort“ --d. h. in seinem eigenen Selbst-- fest verwurzelt ist, dann (erlangt er die Fähigkeit) die Auflösung und das Aufsteigen dessen – d. h. puryaṣṭaka – zu kontrollieren, (er) erlangt den Zustand des Genießers, (anstatt das durch die oben genannten Kräfte genossene Opfer zu sein); daher wird (er) der Herr des Rades (solcher Kräfte). || 3/19 ||
Viertes Kapitel: Epilog
अगाधसंशयाम्भोधिसमुत्तरणतारिणीम् ।
वन्दे विचित्रार्थपदां चित्रां तां गुरुभारतीम् ॥४/१॥
Agādhasaṃśayāmbhodhisamuttaraṇatāriṇīm |
Vande vicitrārthapadāṃ citrāṃ tāṃ gurubhāratīm || 4/1 ||
Ich preise diese hervorragende Rede des Gurus, die (mit) überraschenden oder wunderbaren Bedeutungen ausgestattet ist (und die) es (uns) ermöglicht, den Ozean der tiefen Verwirrung (über die eigene Wesentliche Natur) zu überqueren. || 4/1 ||
लब्ध्वाप्यलभ्यमेतज्ज्ञानधनं हृद्गुहान्तकृतनिहितेः ।
वसुगुप्तवच्छिवाय हि भवति सदा सर्वलोकस्य ॥४/२॥
Labdhvāpyalabhyametajjñānadhanaṃ hṛdguhāntakṛtanihiteḥ |
Vasuguptavacchivāya hi bhavati sadā sarvalokasya || 4/2 ||
Wenn man dieses unerreichbare Geschenk des Wissens irgendwie erlangt hat, wird (es) stets (zu einer Quelle) des Glücks für jeden, (wie im Fall von) Vasugupta, wenn es als Geheimnis in der Höhle des Herzens der Bewusstheit gehütet wird. || 4/2 ||
Erstes Kapitel: Svarūpaspandaḥ
Zweites Kapitel: Sahajavidyodayaḥ
Drittes Kapitel: Vibhūtispandaḥ