Anuttarāṣṭikā
Acht Verse über das Absolute
संक्रामो ऽत्र न भावना न च कथा युक्तिर्न चर्चा न च
ध्यानं वा न च धारणा न च जपाभ्यासप्रयासो न च ।
तत्किं नाम सुनिश्चितं वद परं सत्यं च तच्छ्रूयतां
न त्यागी न परिग्रही भज सुखं सर्वं यथावस्थितः ॥१॥
Saṃkrāmo 'tra na bhāvanā na ca kathā yuktirna carcā
na ca
dhyānaṃ vā na ca dhāraṇā na ca japābhyāsaprayāso na ca |
Tatkiṃ nāma suniścitaṃ vada paraṃ satyaṃ ca tacchrūyatāṃ
na tyāgī na parigrahī bhaja sukhaṃ sarvaṃ yathāvasthitaḥ || 1 ||
Hier --d. h. in dieser Lehre lehrt Abhinavagupta die Ebene von Anuttara, die er „Anupāya“ oder „Realisation ohne Mittel“ nennt-- wo es keinen Fortschritt, keine Kontemplation, keine Erklärung, keine Argumentation, keine Lieder (über geheime Lehren), keine Meditation, aber (auch) keine Konzentration, und nicht die Mühe der Praxis von Japa oder Wiederholung gibt. Sag (mir) also, was ist diese Höchste Wahrheit, (die) (durch all diese Mittel) gut bestimmt oder ganz sicher (ist)? Oder höre stattdessen Das (von mir): Lehne nichts ab, (aber) akzeptiere nichts. Du solltest alles mit Leichtigkeit Genießen, so wie es ist. || 1 ||
संसारो ऽस्ति न तत्त्वतस्तनुभृतां बन्धस्य वार्तैव का
बन्धो यस्य न जातु तस्य वितथा मुक्तस्य मुक्तिक्रिया ।
मिथ्यामोहकृदेषरज्जुभुजगश्छायापिशाचभ्रमो
मा किञ्चित्त्यज मा गृहाण विहरस्व स्थो यथावस्थितः ॥२॥
Saṃsāro 'sti na tattvatastanubhṛtāṃ bandhasya
vārtaiva kā
bandho yasya na jātu tasya vitathā muktasya muktikriyā |
Mithyāmohakṛdeṣarajjubhujagaśchāyāpiśācabhramo
mā kiñcittyaja mā gṛhāṇa viharasva stho yathāvasthitaḥ || 2 ||
In Wirklichkeit existiert Saṃsāra nicht, was ist also wirklich das Elend der Bindung in verkörperten Wesen? Bindung hat niemals (existiert) für jemanden, der Befreit ist und weiß, dass (jede) Bemühung, Befreiung zu erlangen vergeblich ist, (da diese) durch falsche Täuschung hervorgerufen (ist). (Es ist, als ob man) ein sich bewegendes Seil mit einer Schlange (oder) einen Schatten mit einem Dämon verwechselt. Lehne nichts ab, akzeptiere nichts. Bleibe, wie du bist, und bewege dich (frei). || 2 ||
पूजापूजकपूज्यभेदसरणिः केयं कथानुत्तरे
संक्रामः किल कस्य केन विदधे को वा प्रवेशक्रमः ।
मायेयं न चिदद्वयात्परतया भिन्नाप्यहो वर्तते
सर्वं स्वानुभवस्वभावविमलं चिन्तां वृथा मा कृथाः ॥३॥
Pūjāpūjakapūjyabhedasaraṇiḥ keyaṃ kathānuttare
saṃkrāmaḥ kila kasya kena vidadhe ko vā praveśakramaḥ |
Māyeyaṃ na cidadvayātparatayā bhinnāpyaho vartate
sarvaṃ svānubhavasvabhāvavimalaṃ cintāṃ vṛthā mā kṛthāḥ || 3 ||
Was ist (der Wert) diese(r) 'kathā' oder 'Rede‘ über den Unterschied zwischen 'Anbetung‘, 'Anbeter‘ und 'Objekt der Anbetung‘ im (Höchsten Zustand von) Anuttara? Wem gegenüber (, und) von wem (würde) ein solcher Prozess durchgeführt (werden)? Oder was ist der 'Prozess der Versenkung‘ überhaupt? Obwohl (es) anders zu sein scheint, (aber) im höchsten Sinne unterscheidet sich diese Illusion nicht von der Nichtdualität des Bewusstseins. Oh! Alles ist rein in der Essentiellen Natur des Einzelnen, die als die Wahrnehmung des Selbst auftaucht. Denke nicht sinnlos. || 3 ||
आनन्दोऽत्र न वित्तमद्यमदवन्नैवाङ्गनासङ्गवत्
दीपार्केन्दुकृतप्रभाप्रकरवन्नैव प्रकाशोदयः ।
हर्षः संभृतभेदमुक्तिसुखभूर्भारावतारोपमः
सर्वाद्वैतपदस्य विस्मृतनिधेः प्राप्तिः प्रकाशोदयः ॥४॥
Ānando'tra na vittamadyamadavannaivāṅganāsaṅgavat
dīpārkendukṛtaprabhāprakaravannaiva prakāśodayaḥ |
Harṣaḥ saṃbhṛtabhedamuktisukhabhūrbhārāvatāropamaḥ
sarvādvaitapadasya vismṛtanidheḥ prāptiḥ prakāśodayaḥ || 4 ||
„Ānanda“ oder „Glückseligkeit“ gleicht hier nicht dem Vergnügen, sich mit Wein zu betrinken oder Reichtum zu besitzen, aber auch nicht dem Vergnügen des Geschlechtsverkehrs. (Und) „Prakāśodayaḥ“ oder „das Erscheinen des Lichts“ ist überhaupt nicht wie (das Aufsteigen der) Vielzahl von Strahlen, die von einer Lampe, von der Sonne (, oder) vom Mond erzeugt werden. Das Glück – d. h. Glückseligkeit – entsteht (hier) aus der „Freude, von der erschaffenen Dualität oder Differenzierung Befreit zu sein“ (das ist) wie, wenn einem eine Last von den Schultern genommen wird“. „Das Erscheinen des Lichts“ bedeutet (daher), „den vergessenen Schatz des Zustands Vollkommener Nichtdualität wiederzuerlangen“. || 4 ||
रागद्वेषसुखासुखोदयलयाहङ्कारदैन्यादयो
ये भावाः प्रविभान्ति विश्ववपुषो भिन्नस्वभावा न ते ।
व्यक्तिं पश्यसि यस्य यस्य सहसा तत्तत्तदेकात्मता
संविद्रूपमवेक्ष्य किं न रमसे तद्भावना निर्भरः ॥५॥
Rāgadveṣasukhāsukhodayalayāhaṅkāradainyādayo
ye bhāvāḥ pravibhānti viśvavapuṣo bhinnasvabhāvā na te |
Vyaktiṃ paśyasi yasya yasya sahasā tattattadekātmatā
saṃvidrūpamavekṣya kiṃ na ramase tadbhāvanā nirbharaḥ || 5 ||
Dinge wie Liebe und Hass, Freude und Schmerz, Auf- und Abstieg, Zuversicht und Depression usw., die als Form der Welt erscheinen, unterscheiden sich im Wesentlichen nicht (voneinander). Nachdem man die Natur des Bewusstseins beobachtet hat, wird jede sichtbare Erscheinung sofort eins mit dem Bewusstsein. (Also) warum Freust du dich nicht (einfach, während du) Voll des Gewahrseins dessen --d. h. der Natur des Bewusstseins-- (bist)? || 5 ||
पूर्वाभावभवक्रिया हि सहसा भावाः सदास्मिन् भवे
मध्याकारविकारसङ्करवतां तेषां कुतः सत्यता ।
निःसत्ये चपले प्रपञ्चनिचये स्वप्नभ्रमे पेशले
शङ्कातङ्ककलङ्कयुक्तिकलनातीतः प्रबुद्धो भव ॥६॥
Pūrvābhāvabhavakriyā hi sahasā bhāvāḥ sadāsmin
bhave
madhyākāravikārasaṅkaravatāṃ teṣāṃ kutaḥ satyatā |
Niḥsatye capale prapañcanicaye svapnabhrame peśale
śaṅkātaṅkakalaṅkayuktikalanātītaḥ prabuddho bhava || 6 ||
Die Aktivität der Welt hat nie zuvor existiert. Die Dinge der Welt existieren immer in dieser Existenz (und nicht in einer anderen,) ohne irgendeinen sukzessiven (Schöpfungsprozess). In der falschen (und) momentanen Ansammlung (der Dinge der Welt, die) --d. h. eine solche Ansammlung-- ist künstlich (, wie) die Illusion eines Traumes, wo ist (dann) die Wirklichkeit von jenen (Dingen, die) wie ein Mix von Veränderungen zwischenzeitlicher Handlungen (sind) --d. h. wo ist die Realität der Ideen, die vom Denken kommen? Die implizite Antwort lautet: Allein in der Gegenwart--. (Also) wach auf (und verweile) jenseits (dessen, was deine) Verbindung mit dem Defekt --d. h. der spirituellen Illusion-- verursacht durch den Schmerz des Zweifels, antreibt. || 6 ||
भावानां न समुद्भवो ऽस्ति सहजस्त्वद्भाविता भान्त्यमी
निःसत्या अपि सत्यतामनुभवभ्रान्त्या भजन्ति क्षणम् ।
त्वत्सङ्कल्पज एष विश्वमहिमा नास्त्यस्य जन्मान्यतः
तस्मात्त्वं विभवेन भासि भुवनेष्वेकाप्यनेकात्मकः ॥७॥
Bhāvānāṃ na samudbhavo 'sti sahajastvadbhāvitā
bhāntyamī
niḥsatyā api satyatāmanubhavabhrāntyā bhajanti kṣaṇam |
Tvatsaṅkalpaja eṣa viśvamahimā nāstyasya janmānyataḥ
tasmāttvaṃ vibhavena bhāsi bhuvaneṣvekāpyanekātmakaḥ || 7 ||
Es gibt keine... angeborene oder ursprüngliche Existenz der Dinge. Sie erscheinen (nur, weil) du (sie in deinem Geist) erschaffst. Obwohl (sie) nicht real sind --d. h. sie haben keine separate Existenz--, erlangen (sie) im Moment der illusorischen Wahrnehmung eine (scheinbar getrennte) Existenz. Diese 'Größe der Welt' entspringt deiner Vorstellungskraft (und) hat keine andere Quelle. Folglich (da) du (als) 'eine Vielzahl von Wesen und Dingen' (erscheinst), während du Eins bist, strahlst (du allein durch die) Macht in (allen) Welten --d. h. im Wachzustand, im Traumzustand usw.--. || 7 ||
यत्सत्यं यदसत्यमल्पबहुलं नित्यं न नित्यं च यत्
यन्मायामलिनं यदात्मविमलं चिद्दर्पणे राजते ।
तत्सर्वं स्वविमर्शसंविदुदयाद्रूपप्रकाशात्मकं
ज्ञात्वा स्वानुभवाधिरूढमहिमा विश्वेश्वरत्वं भज ॥८॥
Yatsatyaṃ yadasatyamalpabahulaṃ nityaṃ na nityaṃ ca
yat
yanmāyāmalinaṃ yadātmavimalaṃ ciddarpaṇe rājate |
Tatsarvaṃ svavimarśasaṃvidudayādrūpaprakāśātmakaṃ
jñātvā svānubhavādhirūḍhamahimā viśveśvaratvaṃ bhaja || 8 ||
(Das), was real ist, (das), was unwirklich ist, klein oder groß, ewig oder vergänglich, illusorisch, (oder) rein wie das eigene Selbst ... (alle diese Gegensätze) leuchten im Spiegel des Bewusstseins. Nachdem du verstanden hast, dass die Welt eine Offenbarung von (jenen) Formen ist, die aus deinem eigenen Bewusstsein hervorgehen, solltest du den Zustand des Herrn des Universums genießen, (nämlich) die Großartigkeit, 'in deiner eigenen Erfahrung (des Universellen Bewusstseins) verankert zu sein'. || 8 ||
॥इति श्रीमदाचार्याभिनवगुप्तपादविरचितानुत्तराष्टिका समाप्ता॥
|| Iti śrīmadācāryābhinavaguptapādaviracitānuttarāṣṭikā samāptā ||
Dieses „Anuttarāṣṭikā“ oder „Acht Verse über das Absolute“, geschrieben vom höchst Ehrwürdigen Ācārya Abhinavaguptaḥ, ist vollständig. ||
Sanskrit-Quelle:
Göttingen Register of Electronic Texts in Indian Languages
Transliteration: Dott. Marino Faliero, July 1998